Die Jagd auf Dunkle Materie
Zusammenfassung des Vortrags von Philipp Schreiner, gehalten am 15. November 2024 in der Sternwarte Klagenfurt
Die Dunkle Materie ist eine der zentralen offenen Fragen der modernen Physik. Obwohl sie weder elektromagnetisch interagiert noch direkt beobachtet werden kann, deutet eine Vielzahl unabhängiger astrophysikalischer und kosmologischer Versuche und Theorien darauf hin, dass sie nicht bloß existieren muss, sondern sogar etwa 85% der gesamten Masse des Universums ausmacht.
Bereits 1933 stellte der Astronom Fritz Zwicky bei der Untersuchung des Coma-Galaxienhaufens fest, dass die Bewegung der Galaxien nicht zu den Berechnungen passten auf eine viel größere Masse hinweisen, als durch sichtbare Materie erklärt werden kann. In den 1960er- und 70er-Jahren wiesen Vera Rubin und Kent Ford ähnliche Anomalien in Spiralgalaxien nach. Die Rotationsgeschwindigkeiten von Sternen am Rand der Galaxien waren zu hoch, um durch die sichtbare Masse erklärt werden zu können – die Zentrifugalkraft müsste die Galaxien regelrecht auseinanderreißen. Dies deutete darauf hin, dass eine zusätzliche unsichtbare Masse – die Dunkle Materie – die galaktischen Strukturen zusammenhält. Etwa zu selben Zeit erforschten Arno Penzias und Robert Wilson (Nobelpreis 1978) Radiowellen und stießen auf das Problem eines ständigen Störsignals, dass anscheinend von außerhalb unserer Galaxie kam – es war die Entdeckung der kosmischen Hintergrundstrahlung. Schaut man sich nun aber den Verlauf der kosmischen Hintergrundstrahlung an, stößt man erneut auf Anomalien: Hätte das All sich, wie erwartet, gleichmäßig ausgedehnt, so würde man von allen Seiten eine gleichmäßige Hintergrundstrahlung erhalten und auch die Masse im All wäre gleichmäßig verteilt. Was man jedoch beobachtet, sind markante „Hotspots“ an Strahlung und Masse, die Sterne und Galaxien „klumpen“ um bestimmte Regionen, als wäre dort eine unsichtbare Masse, die sie anzieht.
Ist die Dunkle Materie damit also bewiesen? Nur indirekt. Wir beobachten zwar diese Anomalien, doch ohne einen direkten Nachweis von dunkler Materie, bleibt sie weiterhin bloß eine Theorie. Wenn dunkle Materie jedoch existiert, dann müsste sie überall im All existieren – selbst auf der Erde – und würde millionenfach pro Sekunde jeden Quadratzentimeter unseres Planeten durchdringen. Selbst wenn dunkle Materie nahezu nie direkt mit Materie interagiert, müsste die schiere Zahl an potentiellen Kollisionen dazu führen, dass wir sie in einem Detektor nachweisen können und ihre Existenz damit beweisen, und zwar dann, wenn dunkle Materie tatsächlich mit Materie kollidiert und dabei Licht und Wärme erzeugt. Einen besonderen Platz in der Forschung nimmt hierbei das DAMA/LIBRA-Experiment ein. Dieses Projekt behauptet seit Jahren, ein saisonal schwankendes Signal nachgewiesen zu haben, das mit der Bewegung der Erde durch den Halo der Dunklen Materie in der Milchstraße zusammenhängt. Die jährliche Modulation des Signals könnte ein Hinweis auf Dunkle Materie sein, jedoch bleibt diese Interpretation umstritten – DAMAs Messungen mittels eines Natriumiodid-Kristalls würden die Masse von Dunkler Materie in einem Bereich verorten, der durch andere Experimente (z. B. XENON 1T oder CRESST III) bereits überprüft wurde. Hierbei kommt nun das COSINUS-Projekt zum Einsatz: Untergebracht im Untergrundlabor am Gran Sasso in Italien, führt COSINUS die Experimente des DAMA-Projekts weiter und hebt sie auf eine neue Stufe. Zum Einsatz kommt erneut der Natriumiodid-Detektor, doch wo DAMA/LIBRA lediglich Lichtmessungen durchführte, kommt hierbei auch ein hochpräzises, auf etwa 10 Mikrokelvin gekühltes Thermometer zum Einsatz, das Temperaturmessungen im Bereich von Millionstel Kelvin erlaubt. Auch der Standort ist nicht zufällig gewählt; Das Bergmassiv schirmt den Versuchsaufbau vor Höhenstrahlung und störenden Teilchen wie Myonen oder Neutrinos ab. Zusammen mit einem großen Wassertank, der den Detektor abschirmt, kann damit sichergestellt werden, dass der Eintrag von störenden Teilchen auf knapp eines alle zehn Jahre gehalten werden kann. Bis wir die dunkle Materie bewiesen haben, müssen wir jedoch noch etwas warten; Der Versuchsstart ist für Ende 2025 geplant und erste Ergebnisse werden etwa 2030 erwartet und selbst dann wird lange noch nicht alles geklärt sein und die Dunkle Materie gewiss noch mehr Geheimnisse für uns bereithalten.
Phillip Schreiner hat 2022 seinem Master in Physik (Schwerpunkt Teilchenphysik) an der TU Graz abgeschlossen und arbeitet seit 2023 am COSINUS-Projekt. Seine Masterarbeit beschäftigte sich mit der Beschreibung des minimal supersymmetrischen Standardmodells.